Vom Hören

Hören ist nicht nur eine Sache der Ohren. Hören ist eine Sache der Aufmerksamkeit. Ich kann mit den Ohren hören, aber auch mit meinen Händen, die ich einem Kranken oder Sterbenden auflege. Ich kann mit dem Herzen hören, wenn ich mich jemand zuwende und ihn nicht nur nebenbei registriere.

Jakobus rät uns zum aufmerksamen Hören. Er meint: „Sei wirklich aufmerksam! Verpasse den Moment nicht!“ Es sind unglaublich viele Töne, Stimmen, Klänge, Geräusche und Sounds, die auf uns einströmen – eine regelrechte Lärmimmission. Aber einige Töne sind immens wichtig, auf sie kommt es an.

Gebet3 16 9 HD1080

Auf die Zwischentöne, das Ungesagte, auf die verborgene Botschaft aufmerksam zu sein, darauf kommt es an. Dabei muss unser Gehör gut filtern, es erfordert die Aufmerksamkeit von Gefühl und Verstand. Lernen können wir es durch bewusste Stille. In die Stille hineinzuhören, ist spannend, aber auch eine echte Herausforderung.

Es war am 29. August 1952 in New York. Auf einem Wohlfahrts-Fond kam es zur Erstaufführung von der Komposition „4‘33“ von John Cage. Es hatte drei Teile, wovon jeder Teil die Spielanweisung „Tacet - Schweige!“ hat - das Notenheft zeigt nur Pausen auf den Notenlinien. Schaut man sich die Komposition bei YouTube an, sieht man, das nichts zu hören ist. Das Publikum ist irritiert und verärgert.

Tacet – Schweige. Nichtstun ist inakzeptabel. Aber ist Stille überhaupt „Nichts“? Stille kann man weder sehen noch anfassen. Stille zu hören, scheint schwierig.

Vom Reden

Es gibt einen Film über das Leben im Kartäuserkloster La Grande Chartreuse. Das erste Wort im Film fällt nach zwanzig Minuten an einem Sonntagnachmittag im Kloster. Die Mönche reden nur am Tag, wo Gott von seinen Werken ruhte. Sie reden nur über das, was wirklich wichtig ist. Es bleibt wenig übrig, was beredet werden muss.

Vom Zorn

Beeindruckend, als Emma Gonzales am 25. März 2018 in Washington vor Hundertausenden Menschen eine Rede hält. Sie beginnt mit wenigen Worten. Sie erzählt von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern:

„… meine Freundin Carmen wird sich nie mehr bei mir über den Klavierunterricht beschweren. Aaron Feis wird Kira nie mehr ‚Miss Sunshine‘ nennen. Joaquin Oliver wird nie mehr mit Sam oder Dylan Basketball spielen. Cara Loughran wird nie mehr … Chris wird nie mehr … usw.“

Dann schweigt sie. Sie schweigt am Mikro, bis 6 Minuten und 20 Sekunden vergangen sind. So lang hatte es gedauert, bis der 19-jährige Attentäter 17 Mädchen und Jungen getötet hatte. Mit ihrem Schweigen demonstrierten an diesem Tag Hundertausende gegen freien Waffenverkauf, um gehört zu werden. Ob sie gehört werden?

Es wird viel geredet und schnell kommentiert. Von Podien, Kanzeln, aus den Kopfhörern und Lautsprechern der Medien. Manchmal zu viel, oft auch zu schnell. Den Rest kennen wir.

Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn“. Bleibt die Frage: Wo bleibt Gott bei all diesen Gedanken? Ich denke, Gott steckt in all diesen Gedanken. Hören wir nur genau hin.

In herzlicher Verbundenheit

Euer Pastor Willi Müller