Nicht umsonst wird der Kinderglaube mit seinem unverbrüchlichen Ur-Vertrauen hervorgehoben. Ein Glaube, den nur die Kinder haben, die das Glück eines behüteten Aufwachsens erfahren und deren Vertrauen noch selten enttäuscht wurde.

Wo wir Glauben wagen und Vertrauen schenken, erfahren wir auch Enttäuschung. Und das nicht nur im Blick auf Menschen, die unseren Erwartungen nicht gerecht werden. Und auchnicht nur im Blick auf uns selbst, die wir selbst nicht halten können, was wir halten wollten.Auch der Glaube an Gott kann ins Wanken geraten und Risse bekommen. Gerade da, wo uns tiefes Leid und Elend begegnen. Wo trotz Bemühen und Beten die Liebe zerbricht. Wo Menschen in sich und durch andere gefangen bleiben. Wo der Krieg mit Leichtigkeit den Frieden zerschmettert… Da fragen wir: Wo bleibt Gott, der starke Helfer, der Retter und Erlöser?

In der Geschichte, aus der die Jahreslosung stammt, stecktnoch ein Rest Hoffnung. Der Glaube des Vaters wird durch die schwere Krankheit seines Kindes herausgefordert. Kein Tag ohne Kampf, ohne Leid und Gefahr. Und sicher haben die Eltern sich gefragt: Warum? Warum muss unser unschuldiges Kind so leiden? Über die Jahre nagt der Zweifel, ob Gott überhaupt helfen kann. Trotz Verzweiflung am Leben und an Gott ist der Vater bei Jesus, als der mit seinen Jüngern in die Stadt kommt. Von Jesus geht der Ruf voraus, dass er heilen und befreien kann. Ich stelle mir vor, wie die zaghafte Hoffnung des Vaters einen Stoß erhältals er sagt: „Wenn du etwas kannst, erbarme dich und hilf uns …“

„Alle Dinge möglich dem, der glaubt“. Diese Antwort von Jesus hat zwar etwas Provozierendes, aber er spricht in dem Vater eine Sehnsucht an, die neu anfängt zu lodern. Ja, Glauben und Vertrauen können, hoffen auf Neuanfänge – diesen Glauben hat der Vater nicht. Aber wie sehr er sich doch danach sehnt! „Ich glaube – hilf meinem Unglauben!“ 

Was ist denn unser Glaube? Eine feste Gewissheit? Ein tiefes Gefühl und spürbares Gehaltensein? Manche im Glauben aufgewachsene Menschen verlassen ihre Gemeinden, wenn sie zweifeln. Sie wollen nicht als Heuchler dastehen, nehmen aber eine große Sehnsucht mit. Andere trauen sich nicht, ihre Zweifel zu äußern, um nicht als „ungläubig“ zu gelten. 

Wie gut, dass die Jahreslosung uns ermutigt, noch einmal genau hinzusehen und darüber zu sprechen, was Glauben wirklich heißt.  

Nach Luther sind die tiefsten Zweifel Anfechtungen, die wir dort erleben, wo Gottes Verheißungen im Leben nicht sichtbar sind. Wo Segen ausbleibt. Wo das Leben nicht blühen will und das Böse scheinbar siegt.

Der Vater des Kindes kann nur bitten: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Und Jesus rügt diesen gequälten Glauben mit keinem Wort. Im Gegenteil: Er schafft der Qual durch seine Zuwendung ein Ende. 

Die Nähe Gottes hängt in keinerlei Weise an unserem Glauben. Auch hier erfahren wir das Gegenteil: „Der Herr ist nahe denen, die ein zerbrochenes Herz haben“ (Psalm 34,18). Das ist Ermutigung für alle, denen der Kinderglaube genommen wurde. Die das Vertrauen Stück für Stück verloren haben. Die aber in der Tiefe ihrer Seele diese Sehnsucht nach Gott haben.   

Gott selber schafft die Beziehung und nimmt uns hinein in seinen Beziehungsreichtum. Gerade denen ist er nahe, die einen Glauben der leeren, bittenden Hände haben. 

Die Jahreslosung ermutigt mich, zu meinem Glauben zu stehen. Mit allen Hoffnungen. Mit Enttäuschungen und Verletzungen. Mit jedem Zweifel. Gott muss ich nichts vorspielen, Hoffnung kann wachsen. 

Nicht immer antwortet Gott so, wie in der Geschichte. Zweifel und Anfechtungen können ein Leben lang bleiben. Aber es hängt nicht an der Stärke unseres Glaubens, ob ein ersehntes Wunder geschieht. Auch mitten im Leid lässt uns Jesus Christus nicht alleine. Und wir dürfen beten: 

Schenke mir in Zweifeln neue Hoffnung

durch deine Gegenwart.

Komme mir entgegen und lass mich deine Liebe spüren.

Stärke meinen Glauben –

mach deine Verheißungen wahr.

Mit guten Wünschen für das neue Jahr 2020 grüßt herzlich

Euer Pastor Willi Müller