„Der Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.“

Grenzen und Möglichkeiten kirchlicher und staatliche Würdigung

von Konversions- und Flüchtlingsbiografien

Fünf deutsch-persische Zeugnisgottesdienste, vom Pfingstgottesdienst bis zum AbendmahlsgottesdienstIran Deutschland im November, haben wir im Jahr 2019 in der Gemeinde erlebt. Unsere iranischen Geschwister haben uns dabei Anteil gegeben an ihrem Glaubensweg, der deshalb ein besonderer ist, weil ihr neuer Glaube an Jesus fluchtauslösend war. Vielleicht haben wir es auch so erlebt: Flüchtlingskonversionen sind Glaubensbiografien, die mit unseren europäischen Glaubensgeschichten nicht immer deckungsgleich sind. Es wurden uns Glaubenswege erzählt, die wir, aufgewachsen vielleicht in einer christlichen Familie und Gemeinde, aber gewiss in einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft, selbst nicht gehen mussten, die uns nicht zugemutet wurden. Das persönliche Christwerden in der religiösen Sozialisation einer Baptistengemeinde ist etwas anderes als Christwerden in einem Kontext, der familiär und staatlich in der Weise islamisch geprägt ist, dass jede Hinwendung zu einem neuen Glauben als ein verbotener Abfall geahndet wird.

Deshalb ist die rechte Würdigung von Konversions- und Flüchtlingsbiografien eine besondere Herausforderung nicht nur für die Kirchen, die vielleicht, ohne gewissenhaft hinzuhören, sich über neue Glaubensgeschwister sehr freuen, sondern auch für den Staat, der Flüchtlingsbiografien auf den Anspruch auf Asyl hin prüfen muss, um Missbrauch zu verhindern. Es lohnt sich also, über das Bibelwort nachzudenken, das allen menschlichen Erkenntnismöglichkeiten Grenzen setzt: „Denn es ist nicht so, wie ein Mensch es sieht: "Der Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.“ (1. Samuel 16,7)

Dies Wort sprach Gott zu dem Propheten Samuel, als der sich wunderte, dass die Wahl der Berufung zum König auf den jüngsten Sohn Isais, David, fiel, der von seinem Äußeren her am allerwenigsten dem Ideal eines wahren Herrschers zu entsprechen schien. In dieser Erzählung irrte der Prophet siebenmal, bis ihm der Jüngste vorgeführt wurde und Gott sprach „Der ist’s.“ Das Innere des Menschen, seine religiöse Identität, zur vollen Gewissheit zu überprüfen, steht einem Menschen nicht zu: „Denn es ist nicht so, wie ein Mensch es sieht.“ Das Gotteswort „der HERR aber sieht das Herz an“, markiert diese Grenze, die Menschen in der Beurteilung anderer Menschen nicht überschreiten dürfen. Der Prophet Jeremia reklamiert später diese Grenze allein für Gott: „Ich, der Herr, kann das Herz ergründen und die Nieren prüfen.“ (Jeremia 17,10)

Übertragen auf die Prüfung einer Konversionsbiografie, die auch eine Flüchtlingsbiografie ist, bedeutet dies: Kirche und Staat sind von Gott eine Grenze der Erkenntnismöglichkeit gesetzt, wenn es darum geht, Entscheidungen des Glaubens, die im Inneren des Herzens getroffen werden, von außen zu erkennen und zu bewerten. Dieser göttliche Vorbehalt für die Würdigung einer Glaubensentscheidung mag für die Kirche verständlich sein, dem säkularen Staat aber scheint eine solch religiös begründete Grenze des eigenen Erkennens nicht zur Verfügung zu stehen.

Die Kirche muss prüfen, wen sie taufen kann. Der Staat muss prüfen, wem sie Asyl gewähren kann. Bei beiden Prüfungen geht es um ein und dieselbe Person mit ein und derselben zu prüfenden Begründung: Konversion. Wie prüft die Kirche die Echtheit einer Bekehrung, um Taufe und Mitgliedschaft zu gewähren, und was prüft der Staat, um Asyl zu gewähren?

Fakten OpenDoors

Eine Handreichung der EKD und der VEF aus 2013 zum Umgang mit Taufbegehren von Asylsuchenden für die Gemeinden empfiehlt den Kirchen, in einer intensiven Begleitung der Flüchtlinge die Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts auf der Grundlage der kirchlichen Lebensordnungen zu prüfen, um einerseits einen Missbrauch der Taufe auszuschließen, andererseits aber mit Respekt die Glaubensbiografie zu würdigen. Deshalb liege ein besonderes Gewicht auf die in der Gemeinde miteinander praktizierte Frömmigkeit. Ebenso wird aber auch die Kollision beschrieben, wenn Kirche und Staat die Glaubwürdigkeit des Glaubens prüfen und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Die Rechtsprechung zu religiösen Konversionen im Asylprozess hat eigene Kriterien der Prüfung entwickelt. Die staatliche Perspektive richtet sich auf die Zukunft: ob der Asylbewerber, der angibt Christ zu sein, in der Zukunft sich in seinem Heimatland so als Christ verhalten würde, dass ihm Verfolgung drohen würde. Maßstab könnte sein heutiges Verhalten als Christ in Deutschland sein, also ein von außen deutlich zu erkennendes christliche Leben. Zur Kollision mit der Kirche kommt es aber deshalb, weil der Staat sich mit einer Prüfung der nur von außen erkennbaren Christlichkeit nicht zufrieden gibt. Neben der Kirche will auch der Staat selbst in Asylfragen die innere religiöse Identität des Antragstellers genau bestimmen, um dann „zur vollen Überzeugung des Gerichts“ zu prüfen, ob der Glaubenswechsel auf einer ernsthaften religiösen Entscheidung beruht. In der Rechtsprechung ist zudem das Kriterium echter Christlichkeit um ein bewusst „gefahrenträchtiges“ christliches Leben verschärft worden. Die Entscheidung, ob ein Glaube geglaubt wird, unterliegt alleine der freien Beweiswürdigung des Richters (VwGO §108), also sein subjektives „Für-wahr-Halten“. An die Taufbescheinigung einer Kirche ist der Richter dabei nicht gebunden, denn die Taufe ist für den Staat nur ein formaler Übertritt zum Christentum (Taufscheinchrist). In der Regel wird auch eine Berufung (Revision) gegen einen ablehnenden Gerichtsentscheid nicht zugelassen, weil - so die Rechtsprechung – eine Konversionsprüfung vom Einzelfall abhängt und einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.

Mit seiner Konversionsprüfung wagt sich der säkulare Staat weit auf das Terrain des Glaubens. Er behält sich also vor, dass er alleine entscheiden kann, ob der neue Glaube die religiöse Identität des Asylsuchenden prägt oder nicht, das heißt im Fall der Verneinung nichts anderes als: Sie sind kein Christ, sie täuschen etwas vor, was sie nicht sind. Der säkulare Staat ist also von der Kirche daran zu erinnern, dass er hier in ein Gebiet eindringt – Glaubensentscheidungen des Herzens (Identität) – das Gott für sich alleine vorbehalten hat: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.“ Doch der säkulare Staat ist unempfänglich geworden für die religiöse Glaubenssprache. Aber vielleicht findet der göttliche Vorbehalt eine entsprechende Übersetzung in die säkulare Sprache unseres Grundgesetzes: GG Art. 4 (1): „Die Freiheit des Glaubens … sind unverletzlich.“ Wo liegt die Grenze dieser Freiheit, die nicht verletzt werden darf? Zur Freiheit des Glaubens gehört in erster Linie die Freiheit, einen (neuen) Glauben anzunehmen und öffentlich zu bekunden. Der Staat verletzt diese grundgesetzlich garantierte Freiheit des Glaubens, wenn er einem Christen öffentlich bescheinigt, er sei ein Täuscher, ein Schauspieler (Heuchler), der in sein Heimatland abgeschoben werden kann. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht (2015) erklärt, die Reichweite des GG Art.4 umfasse nicht die Prüfung der Echtheit des Glaubens, aber genau darüber muss mit dem Staat mit religiösen und juristischen Gründen gestritten werden.

Das also ist die Problemlage, wenn unsere iranischen Geschwister in 2020 vor den Verwaltungsgerichten „Rechenschaft von ihrem Glauben“ geben müssen.

                Edgar Lüllau