Erinnerung an Martin Luther King jr.martin luther king 180477 960 720

Martin Luther King jr., der afroamerikanische Baptistenpastor, der als leidenschaftlicher Prediger des Evangeliums und wagemutiger Streiter für eine grundlegende Lösung der sozialen Konflikte in der Gesellschaft eintrat, wurde vor 50 Jahren, am 4. April 1968, in Memphis ermordet. Seine tiefe Verwurzelung in der Tradition der „schwarzen“, afroamerikanischen Kirchen war eine wesentliche Quelle seiner Verkündigung und seines Handelns. „Die Freiheitslieder der Massenversammlungen sind die Seele der Bewegung, schrieb M.L. King, wir singen sie heute aus dem gleichen Grund, aus dem die Sklaven sie einst sangen, denn wir leben noch in Knechtschaft, und die Lieder tragen zu unserer festen Überzeugung bei, dass We Shall Overcome, Black and White Togehter. We Shall Overcome Someday.“


In ihren Erinnerungen an ihren Mann schildert Coretta King eine Szene, wie Daddy King, der Vater von M. L. King , 1967 dem neugewählten Gouverneur in Georgia Lester Maddox, der für sein Eintreten für die Rassentrennung berüchtigt war, mit seinen Forderungen für die Afroamerikaner entgegentrat. Daddy King, Pastor an der Baptistenkirche Ebenezer in Atlanta, hielt sich anfangs auf Anraten seiner Kollegen, die um seine offene Art wussten, zurück. Coretta King schreibt weiter:
„Dann brach er los: ‚Also, Gouverneur Maddox, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass wir nicht als Bettler gekommen sind. Wir wollen den uns zustehenden Anteil an Stellen in diesem Staat, und sollten Sie uns daran hindern, werden wir sie doch bekom­men. Außerdem habe ich in der Zeitung gelesen, dass Sie zur Rassentrennung stehen wollen. Sie nennen sich einen Christen. Wie können Sie Rassentrennung vertreten und ein Christ sein? Sie sind ein Diakon Ihrer Kirche. Was für Predigern haben Sie nur gelauscht? Ich möchte Sie einladen, in die Ebenezer Church zu kommen und mich predigen zu hören. Ich denke, ich kann Ihnen helfen."


Dies ist nicht nur ein eindrückliches Zeugnis des Selbstbewusstseins afroamerikanischer Baptistenprediger vor dem weißen Gouverneur, sondern vor allem eine Anfrage an die Kirchen, welches Evangelium sie heute ihren Hörern predigen. Kommt es von der Predigt des Evangeliums zur Tat des Guten? Martin Luther King sagte in seiner Predigt zu Römer 12,2 (Stellt euch nicht dieser Welt gleich), die er überschrieb mit „Verwandelte Nonkonformisten“: „Die meisten Menschen, besonders die Christen, sind Thermometer. Sie zeigen die Temperatur der Mehrheitsmeinung an. Aber sie sind keine Thermostaten. Sie ändern und regeln die Temperatur der Gesellschaft nicht.“


Martin Luther King steht in der Tradition der Nonkonformisten: Die Christen sollen nicht mit dieser Welt „konform“ gehen. Dies schließt eine scharfe Kritik an der Kirche ein: „Die ehemalige Zustimmung der Kirche zur Sklaverei, zur Rassentrennung, zum Krieg und zur wirtschaftlichen Ausbeutung bezeugt, dass die Kirche sich mehr nach den weltlichen als nach den göttlichen Geboten gerichtet hat.“ Am Sonntagmorgen, beim getrennten Gang von Schwarz und Weiß zum Gottesdienst, wurde die Rassentrennung der Gesellschaft am deutlichsten sichtbar.


Aber auch seinen eigenen Kollegen auf der Kanzel hält er den kritischen Spiegel vor: „Auch uns Prediger hat der ansteckende Kult des Konformismus in Versuchung geführt. Wir sind Schausteller geworden, die den Wünschen und Launen der Menschen gerecht werden wollen. Wir halten erquickliche Predigten und vermeiden es, irgendetwas von der Kanzel herab zu sagen, was die ehrbaren Ansichten unserer ehrbaren Gemeindemitglieder erschüttern könnte.“

 

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Dabei war es eigentlich zufällig, dass er als junger Pastor der Dexter Avenue Baptist Church in Montgomery 1955 zum Anführer des Busboykotts gewählt wurde. Die Schneiderin Rosa Lee Parks hatte sich geweigert, von einem für Weiße reservierten Sitzplatz in einem öffentlichen Bus aufzustehen. Damit hatte sie und die Baptist Church mit ihrem Anführer Martin Luther King jr. eine Lawine ins Rollen gebracht. Als Ende Dezember 1956 die Aktion „Nicht-Kooperation“ erfolgreich beendet wurde und am darauffolgenden Sonntag in der Nacht Schüsse auf Kings Haus abgefeuert wurden, sagte er danach in einer Predigt: „Wir haben gerade erst unsere Arbeit begonnen, wir müssen jetzt integrierte Schulen haben.“


Der Busboykott war das Anfangssignal, das King seine Berufung erkennen ließ: das Evangelium will Tat werden zum Wohl der Menschen. Diese Berufung beschreibt er mit den Worten: „Ich hatte den Protest weder begonnen noch vorgeschlagen. Ich hatte einfach nur auf den Ruf des Volkes nach einem Wortführer reagiert. Als der Protest begann, besann ich mich, bewusst oder unbewusst auf die Bergpredigt mit ihrer erhabenen Lehre von der Liebe und auf Gandhis Methode des gewaltlosen Widerstandes. Im Laufe der Zeit erkannte ich immer mehr die Macht der Gewaltlosigkeit.“ Natürlich blieb Kritik gegen Kings Methoden nicht aus. Es sei Unrecht, so der Vorwurf, dass der Protest von Predigern des Evangeliums geleitet würde, denn Geistliche hätten die Aufgabe, die Seelen der Menschen zu Gott zu führen. King antwortete darauf: „Ich kann keinen Konflikt zwischen unserer Hingabe an Jesus Christus und unserer gegenwärtigen Aktion sehen. Das Evangelium ist ebenso sozial wie persönlich.“


Sein nächstes Ziel war die Frage der Beteiligung an der Macht: die Afroamerikaner sollten sich als Wähler registrieren lassen, um am demokratischen Willensprozess teilnehmen zu können. In seinem Einsatz gegen den Vietnamkrieg riskierte King ganz bewusst seine gewachsene öffentliche Popularität. Und in der großen Kluft zwischen Armut und Reichtum erkannte er, dass die Spaltung der Gesellschaft nicht nur entlang der Hautfarbe verlief. Arme Schwarze und arme Weiße könnten sich im gemeinsamen Kampf um soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit vereinen: „Ich identifiziere mich von nun an mit den Armen“, predigte er im August 1966, „selbst wenn dies bedeutet, für sie zu sterben. Ich habe eine Stimme gehört, die mir sagte: Tu etwas für andere.“


Seine Predigttätigkeit als Baptistenpastor in Montgomery und Atlanta führten ihn immer wieder zurück zur Quelle: das Evangelium von Jesus Christus. Die so praktizierte Nachfolge Jesu machte ihn zu einem Nonkonformisten, von dem das FBI sagte, er sei der „gefährlichste Mann in Amerika“.


Mein Kollege Hartmut Laux berichtete von einem Besuch bei Daddy King in der Ebenezer Gemeinde Atlanta in den 70er Jahren während einer Studienreise der Jugendpastoren des GJW Hamburg. Kurz vorher waren fünf Gemeindemitglieder und die Ehefrau von Daddy King, Alberta, erschossen worden. Karl-Heinz Walter, der Leiter der Studienreise, fragte Daddy King, ob er ein Wort für die Weltjugend der Baptisten hätte. Seine erste Antwort war: „Hören sie denn auf Sie?“ und nach einer Pause fügte er nur ein Wort hinzu: „Hingabe“.


Edgar Lüllau